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Die Videoanalyse beim Klettern

Mit Einblick in eine echte Analyse von Trainer Ingo Filzwieser

Klettern ist eine Sportart voller Dynamik, Präzision und Körpergefühl – und doch täuscht dieses Gefühl oft. Was sich im Moment richtig anfühlt, kann auf Video ganz anders wirken: krumme Körperhaltung, unnötig angespannte Schultern oder Zögern an Stellen, an denen man eigentlich flüssig klettern wollte. Genau deshalb ist die Videoanalyse eines der effektivsten Werkzeuge, um den eigenen Stil zu verbessern – nicht nur für Profis, sondern auch im Breitensport.
In einem Praxisbeispiel zeigt Ingo Filzwieser, ehemaliger Trainer des österreichischen Nationalteams und später DAV-Bundestrainer für die Disziplin „Combined“, wie wertvoll die Analyse eines Klettervideos sein kann. Gemeinsam mit unserem Kollegen TomTom schaut er sich eine Hallenroute des ambitionierten Kletterers Edi an – gefilmt mit dem Tablet und in Slow-Motion ausgewertet. Dabei gibt er nicht nur technisches Feedback, sondern vermittelt auch konkrete Tipps, wie man die Videoanalyse selbstständig und gezielt im Training nutzen kann.

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Weitere Informationen
Was man aus einem einzigen Video lernen kann – Edis Kletterroute unter der Lupe

Die Videoanalyse beginnt mit einem allgemeinen Hinweis: Gute Aufnahmen sollten leicht seitlich versetzt gefilmt werden, nicht direkt von unten oder frontal. Nur so lassen sich Körperposition, Clip-Haltung und die Bewegungsausführung richtig beurteilen. Im Video fallen Ingo folgende Punkte bei Edis Kletterstil auf:

Kraftverbrauch beim Clippen

Edi klippt häufig mit komplett blockiertem Arm über dem Kopf – die Schulter ist dabei unter Spannung. Diese Position ist unökonomisch und kostet wertvolle Energie. Besser wäre, auf Hüfthöhe in einer gestreckten, lockeren Haltung zu clippen, um Kraft zu sparen und die Durchblutung in Schulter und Unterarm zu verbessern.

Bewegungsrhythmus und Standardbewegung

Ein wiederkehrender Fehler: Edi zieht mit den Armen, bevor er die Füße umsetzt. Das ist ineffizient. Die klassische Standardbewegung im Klettern wäre: erst Fuß setzen, dann über die Beine den Körperschwerpunkt anheben und zuletzt mit den Armen weitergreifen. Ingo betont: Wer das konsequent trainiert, spart enorm viel Kraft und steigert die Bewegungsqualität.

Nachgreifen – oder besser nicht?

Positiv fällt auf: Edi greift Griffe fast immer gleich korrekt – er vermeidet sogenanntes Nachrückeln. Viele Kletterer verlieren an dieser Stelle viel Zeit und Pump, weil sie Griffe mehrfach umsortieren. Wer hier präziser wird, spart Energie – vor allem in langen Routen.

Ausschütteln & Pausenposition

Beim Schütteln der Arme zeigt sich ein häufiger Fehler: das sogenannte „Kolibri-Schütteln“ – kleine Fingerbewegungen, aber keine echte Entspannung. Auch die Schulter bleibt oft angespannt. Effektiver wäre es, den Arm wirklich locker auszuschütteln, die Schulter dabei hängen zu lassen, um sich aktiv zu erholen.

Route-Reading & mentale Unsicherheit

Obwohl Edi die Route kannte, wirkte er im oberen Drittel zögerlich. Ingo vermutet, dass hier die mentale Vorbereitung gefehlt hat – etwa eine klare Vorstellung davon, wie die letzten Züge ablaufen. Seine Empfehlung: Die Route besonders ab der Mitte bis zum Top bewusst anschauen und „vordenken“, weil dort häufig die Fehler passieren.

Fazit des Trainers

Ingo schätzt, dass Edi mit gezieltem Fokus auf Clipposition, effizientem Bewegungsfluss und besserer Regeneration locker einen halben bis ganzen Grad schwerer klettern könnte. Die Analyse zeigt, wie viel Potenzial allein durch kleine Optimierungen gehoben werden kann.

Warum die Videoanalyse so wertvoll ist – auch im Breitensport

Die Stärke einer Videoanalyse liegt darin, dass sie visuelles Lernen ermöglicht. Sie zeigt dir ganz konkret, wie du dich wirklich bewegst – nicht wie es sich anfühlt. Das ist besonders wichtig, da unser Körpergefühl oft nicht mit dem übereinstimmt, was tatsächlich passiert.

Vorteile im Überblick:

  • Technik sehen & verstehen: Bewegungen werden objektiver analysiert – z.  Armbeugung, Hüftposition, Clippen, Schütteln.
  • Kraft effizienter einsetzen: Wer Technik optimiert, spart Energie und kann länger oder schwerer klettern.
  • Zeit sparen durch saubere Abläufe: Kein unnötiges Nachgreifen, keine schlechten Clippositionen.
  • Mentale Klarheit: Unsicherheiten oder Planlosigkeit werden sichtbar – man klettert fokussierter.
  • Motivation durch Fortschritt: Wer regelmäßig filmt, sieht Verbesserungen konkret – das motiviert enorm.
So setzt du die Videoanalyse selbst effektiv um

1. Richtige Vorbereitung

  • Perspektive: Seitlich filmen (ca. 90° zur Wand), um Haltung und Bewegung zu erkennen.
  • Route: Nicht zu leicht! Wähle ein Projekt, bei dem du wirklich kämpfen musst – da zeigt sich das meiste Verbesserungspotenzial.
  • Technik: Handy reicht aus. Idealerweise mit Stativ oder von einem Kletterpartner gefilmt. Nutze Slow-Mo-Funktion oder Analyse-Apps (z. B. das kostenlose „Coach View“ oder „OnForm“).

2. Analyse in Etappen

  • Mehrmals anschauen, jeweils mit Fokus auf einen Aspekt:
  • nur Beine und Tritte
  • nur Clippen & Pausen
  • nur Armhaltung & Spannung
  • nur Körperschwerpunkt & Hüfte

3. Fragen stellen: Bin ich effizient? Wirkt meine Bewegung flüssig oder hektisch? Wie lange halte ich mich an einem Griff?

4. Regelmäßig filmen – nicht nur einmal

Nutze die Videoanalyse als festen Bestandteil deines Trainings. Du brauchst nicht jedes Mal ein Video, aber vielleicht alle zwei Wochen ein Projektvideo – so erkennst du Fortschritte, wiederkehrende Fehler und kannst gezielt daran arbeiten.

5. Feedback gemeinsam auswerten

Besonders hilfreich ist es, die Videos mit Kletterpartner:innen anzusehen. Achtet auf einen positiven, konstruktiven Umgang: Ziel ist Weiterentwicklung, nicht Bewertung. Ein Tipp: Jeder beobachtet beim Anschauen einen anderen Aspekt – so entsteht eine runde Analyse.

Fazit

Die Videoanalyse mit Ingo Filzwieser zeigt eindrucksvoll, wie viel sich allein durch aufmerksames Hinsehen verändern lässt. Schon kleine Details – Clipposition, Bewegungsrhythmus oder Pausenhaltung – können über Erfolg oder Sturz entscheiden.
Und das Beste: Du brauchst keine Hightech-Ausrüstung – nur ein Smartphone, eine Route, die dich fordert, und ein bisschen Geduld beim Zuschauen.

Denn: Wer sich selbst sieht, klettert besser.

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